Plädoyer für Nachhaltige Forschung

von | Mrz 24, 2008 | Klimawandel, Nachhaltigkeit, Umweltpolitik | 4 Kommentare

In den letzten Tagen bin ich häufig (selbstverschuldet :-) in Gespräche verwickelt gewesen, in denen es um Nachhaltige Entwicklung im weitesten Sinn gegangen ist, und musste bemerken, dass viele Menschen trotz Sensibilisierung und grundsätzlich vorhandener Offenheit für das Thema dennoch nicht dementsprechend handeln. Nun stellt sich natürlich die Frage: Wieso ist das so?

3 Themen waren es, die immer wieder vorgekommen sind:

  • Ökonomisierung der Forschung
  • Umweltschutz muss Einkommen schaffen
  • Fliegen

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Die Hintergründe für das Aufkommen dieser Themen sind einfach: Ich arbeite seit November an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) am Aufbau des Arbeitsbereiches „Wissenstransfer“ für Unternehmen. In Gesprächen innerhalb der BOKU aber auch außerhalb entsteht dabei der Eindruck, dass damit eine Ökonomisierung der Wissenschaft betrieben wird. Das kann auch gar nicht geleugnet werden, denn die Öffnung der Universitäten für die Erforschung oder Verbesserung kommerzialisierbarer Produkte ist längst vollzogen.
Für viele Unis (Wirtschaft, Technik) ist das auch naheliegend und daher kein Problem (wenngleich natürlich ebenso zu hinterfragen). Doch wie sieht das bei einer Universität aus, die sich „Die Universität des Lebens“ nennt und sich Themen wie Globaler Wandel und Nachhaltigkeit auf die Fahnen heftet (BOKU)? Hier wird die Kommerzialisierung nicht selten in Frage gestellt und das durchaus zu recht.

Das Thema ist denkbar kompliziert. Die derzeitige Politik präsentiert sich stolz bei jeder Gelegenheit mit dem Aufhänger „Umweltschutz schafft Win-Win-Situationen“, denn endlich zählt auch die Wirtschaft zu den Gewinnern, weil sie Produkte für den Umweltschutz herstellt. Die Kunden sind sowieso Gewinner, weil es zu Einsparungen in allen Bereichen kommt (Stichwort Effizienzsteigerung – meine Assoziazion dazu: Rebound Effekt) und die umweltverschmutzende Industrie hat zumindest keinen Schaden, weil sie nicht zur Verantwortung gezogen wird. Für mich ist das etwa so als würde ich eine Ampel als Angebot aufstellen: Bleibt man bei Rot stehen und geht/fährt folglich nur, wenn es Grün ist, bekommt man eine Belohnung. Geht/fährt man bei Rot, passiert eben nichts. Dass es  andere VerkehrsteilnehmerInnen (insbesondere wenn ein ungleiches Kräfteverhältnis besteht, z.B. FussgängerIn-Auto) gibt, wird ignoriert. Umgelegt auf Umweltschutz wären diese anderen VerkehrsteilnehmerInnen Themen wie Klimawandel oder Artensterben. Solange nichts passiert, sind wir uns der Gefahr auch nicht bewusst. Doch wenn etwas passiert, kann es zu spät oder gar tödlich sein und jegliches Jammern kommt zu spät!

Wir Wissen um die Brisanz des Themas und spätestens seit den Berichten des IPCCs (Intergovernmental Panel on Climate Change) sind auch die möglichen Auswirkungen für jedermann bekannt. Dazu gibt es jede Menge Handlungsanleitungen vom einfachen Glühbirnenwechsel bis zum komplexeren Ändern unseres Mobiltiätsverhaltens. Dennoch gehen die Menschen weiter bei Rot über die Kreuzung. Wenn man sie darauf anspricht, dann sagen sie bestenfalls: „Ich weiß, dass ich nicht nach Italien fliegen sollte, aber ich tue es und verbringe dort einen schönen Urlaub!“ Wenn dann die Hitze erdrückend zuschlägt, die Wälder in der Umgebung brennen, das Wasser knapp wird oderdie Adria wieder einmal „kippt“ und vom Baden abgeraten wird, dann kommt man enttäucht zurück und ….

…sucht fürs nächste Jahr nach neuen Zielen.
Doch warum fragt man sich nicht, was man selbst zu diesem verpatzten Urlaub beigetragen hat, was man also tun müsste um beim nächsten Mal am selben Ort wirklich Urlaub machen zu können, anstatt das nächste „Paradies“ zu zerstören.

Die Antwort liegt schon auf der Hand. Die Verbindung zwischen dem Urlaubsverhalten (das hier nur als Beispiel dient) und dem Erlebten wird nicht hergestellt. Der Flug, das Hotel, die Sonnencreme und das Essen haben nicht offensichtlich zu dieser Situation beigetragen. Die Werbung vermittelt einem die heile Welt. Und wer es noch ein wenig heiler haben möchte, der kompensiert seine CO2-Emission. Wie effektiv das ist, zeigt ein Vergleich auf myclimate.org und lufthansa.myclimate.org. Ein Flug von Wien nach Mailand (1237 Km) verursacht dann entweder 0,3 oder 0,25 Tonnen und kostet zwischen €3 (Lufthansa) und €37 (myclimate, wenn die Kompensation zu mind. 50% in nationale Projekte fließen soll). Welche Logik steckt dahinter? Augenscheinlich ist zuerst einmal, dass Lufthansa ihre Tickets verkaufen will und folglich das Fliegen nicht zum Sündenbock stempeln kann. Die Berechnung wird daher mit der Wirkung des CO2 bei Ausstoß in Bodennähe berechnet, wenngleich bekannt ist, dass die Wirkung in Flughöhe 2-5 Mal so hoch ist (WWF). Man kann Lufthansa nun zuerkennen, dass sie wenigstens die Mitverantwortung des Flugverkehrs am Klimawandel anerkennt. Doch ist das genug? Ist das Risiko gelöst, wenn ich bei Gelb über die Straße gehe?[ad name=“inside_post“]

Worauf will ich nun hinaus? Wo ist (m)ein Lösungsweg? …. Ein paar Ideen dazu. Beim „System Erde“ handelt es sich um ein sehr komplexes System (Jill Jäger in „Was verträgt unsere Erde noch?“). Einfache Lösungen gibt es hier nicht, ganz im Gegenteil: Diese führen eher zu einer Verschiebung des Problems (Beispiel Agrartreibstoffe) und sind deswegen sehr problematisch, weil dadurch bei den Menschen eine gewisse Zufriedenheit erreicht wird: „Ich leiste meinen Beitrag!“ Damit haben sie natürlich auch recht und niemandem kann daraus ein Vorwurf gemacht werden. Man führt bestenfalls aus, was einem durch Medien, Werbung, Wirtschaft und Politik vorgegeben wird. Diese stellen aber kaum unseren Lebensstil in Frage, denn das würde ihre Handlungen selbst in Frage stellen.

Doch was sagt die Wissenschaft? Oder aber was sagt sie, wenn sie ökonomisiert ist?

Die Forschung versucht eine Fragestellung zu lösen. Sie gibt keine unmittelbaren Handlungsanleitungen. Diese werden von Unternehmen in Form von Produkten geliefert, von Politikern in Form von Gesetzen, Förderungen bzw. Anreizen oder von ExpertInnen im Sinne von Interpretationen und Auslegungen. Politik und Wirtschaft verfolgen damit meist ein kurzfristiges Ziel, sei es nun Gewinnmaximierung oder Wiederwahl. Die ExpertInnen werden zu häufig nur von Wirtschaft und Politik gehört und erreichen nur selten die breite Masse. Ihre möglichen Handlungsempfehlungen werden dann wieder nur im eben beschriebenen kurzfristigen Sinn umgesetzt.

Zwei mögliche Wege zu einer Lösung:

  • ExpertInnen brauchen mehr Raum für die Verbreitung ihrer Handlungsempfehlungen. Es ist dafür nötig ihnen Werbe- und Marketingstrategien zu eröffnen und sie auch darin zu schulen, ihre Expertisen weithin verständlich (nicht populistisch!!!) zu formulieren.
  •  Die betroffenen Menschen müssen an der Erarbeitung der Handlungsempfehlungen selbst mitwirken. Eine Agenda 21 quasi für die Übersetzung der Forschungsergebnisse in Aktionen.

Ich formuliere diese Ideen bewusst sehr wage und vorsichtig, denn DIE Lösung gibt es bestimmt nicht. Vielmehr muss akzeptiert werden, dass nur ein Bündel von Aktivitäten zum Ziel führen kann und dieses auch laufend durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergänzt, angepasst und erweitert werden muss. All das soll aber nicht zu einer Lähmung führen, denn die oberste Prämisse muss heißen: … JETZT HANDELN!!

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4 Kommentare

  1. Stephan

    Wenn du Experten nun auch zum Marketing animieren musst, dann ist vorher was falsch gelaufen. Ein Experte wird seine Ergebnisse immer irgendwie publizieren. Und dann sind andere dran:

    – Zeitungen
    – Politiker
    – andere Institutionen (NGO, Firmen,..)

    Kommt das Ergebnis nicht mehr bei den Menschen an, hat die Übermittlungskette versagt. Vielleicht wurde die Nachrichtenübermittlung zu sehr ökonomisiert/bagatellisiert? D.h. die Leute werden mit unwichtigem Schrott zugedröhnt und bezahlen einfach nicht mehr für Qualität. Getreu dem Motto: nachrichten sollen mich nur für den Moment informieren und nicht dauerhaft bilden.

    Manche Forscher sind absolute Kommunikationsnieten. Die kannst du nicht durch Zwang zum Wissenschaftsmarketier konvertieren. Dann springen solche Leute wie Al Gore ein, die übermitteln.

    Handlungsanleitungen mitentwickeln ist gut. Aber das darf auch nicht in Streß ausarten, sonst macht es keiner. Letztlich muss da irgendwie Bildung spannend rübergebracht werden. Nur kann man zu seinem Glück ja niemanden zwingen. Oder sollte man das doch?

    Informationen/Wissen ist schon lange genug da. Nur wir als Gesellschaft verstehen es einfach nicht, damit richtig umzugehen. Bleibt zu fragen: Wem nützt es, dass wir Leute den richtigen Umgang nicht auf die Reihe bekommen.

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  2. roland

    @Stephan … Mit ExpertInnen meine ich jetzt nicht grundsätzlich die ForschInnen selbst. Ich meine die ExpertInnen, die sich darauf spezialisiert haben, das Wissen zu publizieren und als Berater tätig sind. man kann diese beiden Gruppen sicher nicht trennen. Sie sind eng miteinander verbunden und viele Wissenschaftler agieren in beiden Feldern.

    Was ich jedenfalls falsch finde ist die Ergebnisse Politikern, NGOs oder gar Firmen zu überlassen, ohne dass sie speziell für diese aufgearbeitet wurden. Ergebnisse der Klimafolgenforschung bspw. werden von PolitikerInnen, Firmen und NGOs instrumentalisiert genauso wie die ForscherInnen selbst. Es handelt sich dabei aber vielfach um Grundlagenforschung aus der noch keine Handlungen abgeleitet werden können (Bsp. Agrartreibstoffe). Diese Handlungsanleitungen müssen wiederrum von ExpertInnen erforscht, erarbeitet, verbreitet … werden. Dies macht das Projekt „Mut zur Nachhaltigkeit“ (aus dem auch das Buch von Jill Jäger stammt) und Institute wie das SERI.

    „Wissen ist schon lange genug da“ …. ja, da stimme ich dir zu, wenn man damit meint, dass bereits daraus Handlungsbedarf abegeleitet werden kann. Man darf sich als ForscherIn aber keineswegs darauf ausruhen, denn aus dem bisher Bekannten ist auch klar ersichtlich, dass noch viel fehlt und auch, dass vielleicht ganz entscheidende Wechselwirkungen fehlen.

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  3. Stephan

    Da fällt mir das Wort Technikfolgeabschätzung ein. Ich nehme an, um soetwas geht es /bzw- soll es gehen.

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  4. petroparo

    Ich denke, Technikfolgenabschätzung und Risikoforschung sind Bereiche die sehr stark mit Sicherheitspolitik verknüpft sind, und strategisch wichtige Instrumente für Staaten darstellen. Mir drängt sich bei Rolands Artikel die Frage der Gesellschaft, wie will sie sein, auf. Am http://www.iff.ac.at/kwa (Interdisziplinäres Forschungs- und Fortbildungsinstitut, Abteilung Kultur- und Wissenschaftsanalyse) beschäftigt man sich seit Jahren mit dem Problem der Nachhaltigen Gesellschaft, Handlungsanweisungen, Mitsprache, Entscheidungskompetenzen und vor allem der Wissenschaftskommunikation. Eine Hauptaussage ist, dass z.B.: Empathie und menschliche Werte nicht kommuniziert werden können, und deshalb ein gemeinsames Wollen als Ausgangsbasis für gemeinsames Handeln nur in kleinen Gruppen möglich sei. Aufgrund dessen auch ein gemeinsames sein wollen für Alle sehr schwierig erreichbar wird. In religiösen Gruppierungen ist dies sicher am leichtesten realisierbar. Doch wieviel zählt die Wissenschaft in institutionalisierten Religionen? Dein Artikel Roland wirft bei mir eine weitere Frage auf: Wie wirklich und sicher sind all diese Prognosen? Oder anders gefragt, wie wichtig ist es, dass Herr/Frau x genauestens über Klimawandelfolgeerscheinungen bescheid weiß? Kann ich dadurch nicht auch Massenhysterien auslösen, und gerade in der heutigen Zeit populistischen Politikern einen Trumpf zuspielen?
    Ich habe vor ca. 14 Tagen ein sehr interessantes Gespräch geführt zur heutigen Situation (allgemein) und mein Gesprächspartner hat angemerkt, dass Ihm in den letzten Monaten aufgefallen sei, dass das Agressionspotential seiner Mitbürger stark zugenommen hat. Er habe auch in Vorlesungen zu Geschichte Reden von Adolf Hitler gehört, und sich in machen Punkten (Unterdrückung, Preiserhöhungen, …) angesprochen gefühlt, obwohl er auf keinen Fall die Taten des NS Regimes für Gut heißt.

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