Web 2.0 Resistenz

von | Aug 26, 2009 | Social Media, Systemwandel | 3 Kommentare

xkcd webcomic 285 entitled "Wikipedian Pr...
Image via Wikipedia

In meiner Beratungstätigkeit zum Thema Web 2.0 stoße ich in letzter Zeit immer wieder auf eine gewisse Resistenz diesem Thema gegenüber. Ich hab mich daher gefragt, ob es möglicherweise eine bestimmte (Berufs)Gruppe geben kann, die einfach mit dem Thema nichts anfangen kann. Bei meiner Einteilung der Menschen, die sich im Web 2.0 (gibt es das so eigentlich?) bewegen, kann man ganz grob zwischen 2 Gruppen unterscheiden:
– die, die damit arbeiten und
– die, die sich damit Vergnügen

Bei beiden Gruppen gibt es die Konsumenten und die Produzenten, also diejenigen, die Inhalte selbst zur Verfügung stellen und die, die Inhalte hauptsächlich konsumieren.

Beiden Gruppen gemeinsam ist sicher, dass sie das Web einerseits zur Kommunikation selbst nutzen, andererseits um Inhalte, welcher Form auch immer, anderen zur Verfügung stellen.

Nun ist für mich der Funfaktor der neuen Webgeneration sicher ganz groß, letztendlich aber nicht das, was ich daran so wirklich genial finde. Was mich besonders fasziniert sind die vielen Möglichkeiten der Zusammenarbeit über alle regionalen (leider nicht sprachlichen) Grenzen hinweg. Ok, ich höre schon die Einwände, dass (Zusammen)Arbeit ja auch Fun sein kann. Natürlich … ist schon klar. Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit ist bei einem Job, der einem Spaß macht natürlich fließend.

Worauf will ich hinaus: Wenn ich von Web 2.0 Resistenz spreche, dann meine ich eine Resistenz dagegen, das Web als Ort der Produktion zu sehen zu der ich selbst meinen Teil beisteuere. Viele Menschen konsumieren Inhalte, die andere zur Verfügung stellen und erkennen nicht die Möglichkeiten, selbst zu diesen Inhalten beitragen zu können. Sprich sie lesen Texte auf Wikipedia und kämen nie auf die Idee ihre eigenen Gedanken oder ihr eigenes Wissen dazu beizusteuern. Das ist die öffentliche Seite. Daneben gibt es den nicht öffentlichen Bereich, bspw. eine Kooperation zwischen Menschen, die am gleichen Thema arbeiten, aber an verschiedenen Orten sind. Hier verläuft die Zusammenarbeit immer noch nach dem alten Schema: Es werden Dokumente hin und her geschickt mit immer unübersichtlicheren Korrekturen (die man auch nur lesen kann, wenn man die gleiche Version vom gleichen Programm eines Monopolisten hat), von Zeit zu Zeit gibt es ein Meeting bei dem wichtige Dinge besprochen und Entscheidungen getroffen werden. Meist beschließt man auch Arbeitspakete bis zum nächsten Meeting. JedeR hat sein Projektmanagement-Tool über das er/sie den eigenen Arbeitsbereich koordiniert (analog oder digital) und am Ende des Projekts geht jedeR mit einem Koffer an Dokumenten und Kontakten seine/ihre eigenen Wege. Vielleicht gibt es noch eine Publikation. Doch der Weg dorthin existiert maximal in den Köpfen jedes/r TeilnehmerIn und wird noch dazu subjektiv interpretiert.

Meine Vision der Zusammenarbeit mithilfe des Web heute sieht anders aus:

– Dokumente existieren darin nur noch für offizielle Zwecke (Publikationen, Berichte an diverse Stellen, die diese fordern, …)
– Ein zentrales Wiki übernimmt die Aufgabe der Dokumente. Der Stand des Wissens ist jedem/r PartnerIn zu jeder Zeit bekannt und auf Basis dieses kollektiven Wissens werden wichtige Entscheidungen getroffen.
– Ein gemeinsames Projektmanagement-Tool wie dotProject dient als zentrale Schaltstelle für Termine, Aufgaben und den Projektfortschritt
– In einem internen Weblog werden Inhalte kommuniziert, die nicht dem Projekt direkt dienen, sondern der Zusammenarbeit per se nützen (Schwierigkeiten bei der Problemlösung, kleine Erfolge, ev. sogar persönliche Stimmungen, die man den KollegInnen mitteilen will)
– ein öffentlicher Blog dient als PR-Plattform und Kommunikationstool mit der Außenwelt. Hier ist genau festzulegen, welche Inhalte veröffentlicht werden dürfen, die dem Projekt nützen, nicht schaden.

Transparenz ist bei erfolgreichen Kooperationen oberstes Gebot. Die oben beschriebene Struktur bietet größtmögliche Transparenz. Natürlich muss der Nutzen dieser Transparenz von allen Beteiligten gleich gesehen werden und da bin ich dann auch bei meiner Conclusio für die Resistenz:
Das Web 2.0 bietet viele Möglichkeiten, Transparenz zu üben. Es erfordert die Offenheit dem Projektpartner gegenüber. Ein Commitment zur Offenheit bezüglich der Inhalte die das konkrete Projekt betreffen ist bereits zu Beginn der Zusammenarbeit unumgänglich. Wir leben aber in einer Gesellschaft in der Misstrauen und Neid immer häufiger in den Vordergrund rückt. Informationen werden häufig zum vermeintlichen, persönlichen Vorteil zurückgehalten. Wenn ich Infos zurückhalte, nehme ich gleichzeitig an, dass der/die andere das Gleiche tut und fühle mich in meinem Verhalten schnell bestätigt. Ich werde also zum Konsumenten dessen, was andere preisgeben und bekomme gleichzeitig keine Rückmeldung auf das, was ich selbst zurückhalte.

Viele Projekte zeigen, dass eine offene Kooperation sehr erfolgreich sein kann und jedeR ProjektpartnerIn davon profitiert. Die Open Source Community und hier das Beispiel Linux sind der beste Beweis dafür.

Die Prinzipien sind übrigens nicht nur auf Projekte anzuwenden, in denen PartnerInnen zusammenarbeiten, die an unterschiedlichen Orten tätig sind. Auch in Organisationen oder Unternehmen selbst lässt sich mit diesen Prinzipien weitgehende Transparenz verwirklichen und die Stärke der Vielen nutzen. Wir müssen die Möglichkeiten nur als Chance erkennen anstatt sie nicht als Bedrohung verteufeln.

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3 Kommentare

  1. herwig

    Oh mann, Du sprichst mir aus der Seele. Viele Dinge wären um so viel leichter zu organisieren, wenn die Leute sich für Deine Vorschläge begeistern könnten. Leider scheitere ich auch häufig daran, dann ist wenigstens das Lesen Deiner Zeilen ein Trost.
    Gruß
    herwig

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  2. Matze

    echt guter beitrag!
    bin erst seit kurzen hier im Unternehmen aber genau diese Dinge sind es die ich verbessern soll…im Moment dient der Blog bzw. die Blogsoftware noch als Wissensdatenbank…mehr oder weniger, da jeder auf die Inhalte die ich oder andere schreiben…dort zu greifen kann…gibt auch dann so rubriken wie:“jochen denkt…“ also auch persönliche stimmungen i.w.S. können mitgeteilt werden…sind denk ich aber im Moment noch nicht soviele Mitarbeiter als das sich ein gemeinsames Projektmgt.-Tool lohnen würde aber kommt ja vll noch…danke für die Anregungen…gruß

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  3. Plepe

    Sehr gute Gedanken. Gedanken, über die ich mir auch schon länger den Kopf zerbreche, vor allem seit ich im Frühjahr eine Seminararbeit über mehr oder weniger dieses Thema geschrieben hab. Eigentlich war die ursprüngliche Idee „Nachhaltigkeit in digitaler Kultur“, hab mich dann mit verschiedenen Projekten auseinandergesetzt und analysiert warum diese nachhaltig sind (Free Software/Linux, CouchSurfing, OpenStreetMap, …). In einem zweiten Teil hab ich Projekte gesucht, die diese Web 2.0 – Möglichkeiten auf Raumplanung/Politik/Partizipation anwenden.
    Nachzulesen auf meinem Blog: http://plepe.at/104

    Ich glaub, dass Firmen/Menschen Transparenz als grosse Huerde begreifen, da sie Transparenz als zusaetzliche Arbeit begreifen. In Wirklichkeit muss Transparenz als Basis der Arbeit begriffen werden, dann macht sie auch nicht mehr Arbeit, ermoeglicht aber im Gegensatz Partizipation und vereinfacht die Dokumentation.

    Woran ich derzeit arbeite bzw. darüber nachdenke ist wie eine partizipative Web 2.0 Demokratie-Platform (z.B. fuer Diskussionen ueber Wahlkampf-Themen, Stadtplanung, …) aussehen koennte – eine die nicht von der Politik/Stadt eingerichtet wird, sondern von den Menschen die gegen das Demokratiedefizit ankaempfen wollen. Ein Thema, dass ich auf der naechsten KIF (Konferenz der deutschsprachigen Informatik Fachschaften) im November in Berlin als Workshop behandeln moechte (http://kif.fsinf.de/wiki/KIF375:Arbeitskreise).

    Hoffe ich werde auf Deinem Blog noch weitere interessante Artikel in Zukunft finden, bin erst seit kurzem Leser hier :)

    gruesse,
    Plepe

    Antworten

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