Wenn offizielle VertreterInnen nicht mehr Vertreten – #unsereuni

von | Nov 1, 2009 | Systemwandel | 1 Kommentar

Nachdem ich nun schon einige Tage lesend und schauend (#unsereuni) verfolge, was im Audimax der Uni Wien passiert, konnte ich mir heute endlich selbst ein Bild davon machen. Mit allen 3 Kindern bepackt zog ich zu Allerheiligen statt auf den Friedhof zur Uni. Der Besuch selbst am Sonntag nachmittag war nicht so spannend (Film und kurze Diskussion darüber mit 3 Kindern im Gepäck kann nicht so viel ;-). Die ganze Protestbewegung löst bei mir aber doch so einige Gedanken aus.

Die StudentInnen in Wien haben meiner Meinung nach genau den Nerv der Zeit getroffen. Nach einem Jahr Wirtschaftskrise in dem die Politik alles versucht hat, ein System zu retten, das nicht zu retten ist. Nach protektionistischen Verschrottungsprämien und Konjunkturpaketen, die vielfach jene unterstützen, die sich dieses kapitalistische System auf schändlichste Art und Weise zu nutze machen. In Zeiten wo nun fast als Zwischenabrechnung Transferkontos angedacht werden, um zu zeigen, wieviel die Reichen (warum sind sie so reich?) als staatlich verordnete „Solidarität“ den Armen (warum sind sie so arm?) über den Zwischenwirt Staat zahlen und nachher möglicherweise den „Korrekturstift“ anzusetzen.

Bei ihrem Protest können die StudentInnen nicht offiziell von ihren VetreterInnen der ÖH vertreten werden, denn diese tritt nicht als Organisatorin auf. Sie unterstützt die Proteste dennoch. Der Wissenschaftsminister wirkt planlos, wenn er dennoch nur mit den offiziellen Vertretern sprechen will und nicht mit „Besetzern“, die „keine Organisation“ oder offizielle Sprecher haben. Genau darin liegt aber die Stärke der Protestbewegung. Es kann kein direkter Druck ausgeübt werden auf Menschen, die sich regelmäßig der Wahl stellen müssen und im Hinterkopf möglichwerweise eine Karriere in einer der ihrer Gruppe nahen politischen Partei haben. Bei der letzten derartigen Wahl war die Beteiligung knapp über 25%. Vielleicht sprechen die Proteste im #Audimax jetzt einen großen Teil der 75% an, die nicht  bei der Wahl war?

Es gibt noch weitere Dinge, die mich bei der Protestbewegung faszinieren und begeistern. Es handelt sich dabei ja um eine Basisbewegung, wie bereits erwähnt. Diese Bewegung kennt keine Hierarchien. Dabei schlägt mein Partizipationsherz höher. Keine Hierarchien bedeutet nämlich, dass Dinge nur dann wirklich vernünftig umgesetzt werden können, wenn es einen breiten Konsens darüber gibt. Dieser breite Konsens wird in täglichen Plena im Audimax hergestellt. Wer selbst nicht live dabei sein kann, der kann zumindest über den livestream zuschauen und hat theoretisch in einem der folgenden Plena die Möglichkeit auf getroffene Entscheidungen zu reagieren. Die Zahl der Zuschauer bei diesem Lifestream ist nahezu immer über 1000. Auch vor den offiziellen VetreterInnen, der hohen Politik und den Gesetzeshütern bleibt so nichts verborgen.

Welches Potential steckt hinter diesem Protest?

Meiner Meinung nach ein ganz großes. Die Studenten haben etwas begonnen, was in der Bevölkerung auf großes Echo stoßen könnte. Sie haben dabei den Vorteil, dass sie gewisse Freiheiten genießen, die nicht alle haben: keiner kann Sie kündigen, sie haben vermutlich auch keinen Verdienstentgang und können ihr Engagement später vielleicht sogar zu ihren eigenen Gunsten nutzen. Sie sind mit diesem Protest aber auch Türöffner für andere Gruppen, die nun bereits leise (oder auch lauter) im Hintergrund an der Türe kratzen. Ich denke, dass es noch viel mehr Menschen gibt, die sich durch ihre offiziellen Vertretungen nicht wirklich vertreten fühlen. Die Skandale des ÖGB haben gezeigt, was sich in diesem Machtapparat abspielt und die herrschende Politik hat für mich schon lange jegliche Vertretungskompetenz verloren. Sie schleppt sich nur mühsam von einem vorgezogenen Wahltag zum anderen. Dazwischen wird versucht sein Klientel möglichst umfassend zu bedienen und völlig ignoriert, dass man offiziell auch alle anderen Menschen in diesem Land vertreten sollte.

Die Proteste der Studierenden schlagen weite Wellen und das über die Grenzen dieses kleinen Landes hinaus. Nun wäre es wichtig, dass dieser Protest auch andere Bevölkerungsgruppen in seinen Bann zieht, denn am Ende des Tages geht es nicht nur um #unsereuni sondern um #unserewelt. Ich erkläre mich mit der Protestbewegung solidarisch als Vater, als Selbständiger und Angestellter einer österreichischen Universität, als einer, dem die eigene Zukunft im Einklang mit einer Zukunft für alle Mitmenschen und  auf einer intakten Erde am Herzen liegt. Auch wenn ich nicht oft direkt im Audimax sein kann verfolge ich die Aktivitäten mit größter Aufmerksamkeit und freue mich, wenn das begonnene „Feuer“ weitere Kreise zieht.

1 Kommentar

  1. Richard

    Du hast die Stimmung gut getroffen. Diese Bewegung setzt neue Parameter und die Anteilnahme in der Bevölkerung geht weit über die biografisch bedingte Emphase hinaus.
    Wir spüren:
    Demokratische Selbstorganisation unter weitgehender Vermeidung von Bürokratien und mit flachen Hierarchien ist möglich und machbar. Auch große Gruppen können noch als Gruppe kommunizieren.
    Rundfunk und Printmedien sind nicht mehr das nadelöhr zur Öffentlichkeit. Ich kann mir aus Sinabelkirchen ohne Zuhilfenashme von ORF/Standard etc ein Bild von der Lage machen.
    Viele Menschen begreifen diese Bewegung auch als Signal gegen die gefühlte politische Ohnmacht.
    Schon allein deswegen ist den Studierenden zu wünschen, dass sie zumindest Teilerfolge erzielen

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