Partizipative Demokratie

von | Jun 16, 2011 | Systemwandel | 1 Kommentar

I'm not anti-sytsem, the system is anti-me #SpanishRevolution #AustrianRevolution

Ich bin ein politisch denkender Mensch. Ich glaube nicht an die reine Selbstregulierung des Marktes durch Angebot und Nachfrage und messe dem Konsumenten auch nur beschränkte Lenkungsmacht zu. Zu glauben, dass man die Welt durch Konsum verändern kann, ist für mich einer der großen Schwindel des Marketings, dem viele erliegen. So sind es denn auch Werbe- und Marketingmenschen und -plattformen, die dieses „Weltverbessern durch (strategischen) Konsum“ am lautesten Trommeln. Und wie Schafe laufen ihnen tausende Menschen nach im Glauben nun endlich ihr Geld für das Gute ausgeben zu können.

Gleichzeitig wird Politik immer mehr nach den gleichen Spielregeln der Werbung betrieben. Hochbezahlte PolitikerInnen wurschteln in zwanghaft eingegangenen Koalitionen von einem Wahltermin zum anderen, ohne klar erkenntlichem Ziel oder gar einer Vision. Vor den Wahlen wird dann alles (Steuer)Geld in sinnlose Kampagnen gebuttert, die nur eines zum Ziel haben: ausreichend Schafe WählerInnen bis zum letzten Tag mit Konzepten und Ideen einzulullen, damit man gewählt wird. Die beste Strategie dabei scheint zu sein, andere zu finden, die man niedermachen kann. Sei es nun Menschen einer anderen Partei, Hautfarbe, Religion, Ethnie, was weiß ich. Die Konzepte dienen nur der Propaganda. Kein Hahn kräht nach der Wahl danach. Das Ziel war auch nicht das Langzeitgedächtnis, sondern einfach nur die kurzfristige Beeinflussung (oder ist es gar Manipulation?) um an diesem einen Tag Stimmen zu lukrieren.
Da wir nun also vor der Wahl durch die Millionenbudgets der Parteien manipuliert werden, zählt unsere Stimme im nachhinein auch genau gar nichts. Keiner fragt mehr, ob die Gesetze oder sonstigen Regelwerke, die danach meist von einer einfachen Mehrheit (das ist eben Demokratie) beschlossen werden auch dem entsprechen, wofür man seine Stimme abgegeben hat. Das Tempo – insbesondere nach den Wahlen – dabei ist berauschen. Klar, denn Vergessen ist eines der Dinge, die wir Österreicher (und vermutlich auch viele andere) bestens können. Darin sind wir geübt. Wir sitzen die Dinge einfach aus. Es nennt sich dann die österreichische Gemütlichkeit. Ist einmal etwas Gras darüber gewachsen, dann wird schon keineR mehr schreien. Bei der nächsten Wahl kann man seine Manipulationsmaschinerie wieder neu beginnen.
Worauf will ich nun eigentlich hinaus. Ich will hier nämlich nicht die omnipräsente Politikverdrossenheit breit treten. Ganz im Gegenteil. Viele (jungen) Menschen haben einen sehr starken Gestaltungswunsch. Dieser Wunsch wird in Hörsaalbesetzungen, stillen Protesten oder Alternativenformen ausgedrückt. In Spanien ist man nun einen Schritt weitergegangen. Seit knapp einem Monat fordern Tausende, nein Hunderttausende auf den Straßen und öffentlichen Plätzen vieler Städte lautstark „Echte Demokratie jetzt!“ (Democracia real ya!) und haben damit die Spanische Revolution (#spanishrevolution) ausgerufen. Die Medien bei uns berichten kaum darüber. Auch das wundert mich nicht wirklich, sind sie doch auch ferngesteuert durch irgendwelche undurchschaubaren Machtinteressen. Die Umbrüche in Arabien sind täglich Meldungen wert. Der einzige Unterschied: Sie richten sich gegen Diktaturen und werden vielfach gewaltsam unterdrückt (OK, vielleicht gibt es noch viele andere Unterschiede, die mir nicht so augenscheinlich sind. Die Nichtberichterstattung in den Medien ist mir dennoch nicht klar). Eine Vermutung, warum die Massenmedien nicht berichten über die Geschehnisse in Spanien (und zwischenzeitlich auch in Griechenland, Frankreich und vielen anderen Ländern, darunter auch ein kleine Bewegung in Österreich) ist, dass die Urlaubssaison unmittelbar bevorsteht und man fürchtet, dass es zu massiven Einbrüchen in den betroffen Ländern kommen könnte. Weit her geholt? Was ist in Ägyten passiert?
OK, aber ich bin noch immer nicht dort, wo ich eigentlich hin will, nämlich bei der partizipativen Demokratie. Die Menschen in Spanien (und vielen anderen Ländern) trauen den PolitikerInnen nicht mehr zu, dass sie die Probleme unserer Zeit bewältigen. Sie sind zu weit von ihrem Stimmvolk weg und zu sehr mit den Mächtigen (warum eigentlich sind sie so mächtig? Weil sie viel Geld haben und meinen, damit über andere herrschen zu können?) verbandelt. Und sie manipulieren uns kurz vor jeder Wahl (hab ich das schon gesagt? ;-)
Island zeigt nun einen völlig neuen Weg vor und bindet seine Bürger sogar bei der Erstellung einer neuen Verfassung ein. Die Vorteile eines kleinen Landes sind – insbesondere wegen der eigenen Sprache – dass dies ganz öffentlich passieren kann, bspw. über Facebook. Ein Komitee aus Experten und Laien berät laufend über die Inputs und daraus wird am Ende die Verfassung erarbeitet. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis und freue mich für meine isländischen Freunde, dass sie an diesem historischen Experiment teilhaben können.
Formen der partizipativen Demokratie gibt es aber viele, beispielsweise in der Schweiz, in Brasilien, wo, wie in Porto Allegre, Budgets partizipativ erstellt werden, oder bei den Zapatisten, wo Vertreter aller Gruppen konsensual in langen Diskussionen zu gemeinsamen Strategien kommen. Auch unser Parlamentarismus ist hier zu hinterfragen. Hier wird eine Infrastruktur aufrecht erhalten, die ein Vermögen kostet.  Dabei investieren einige Gruppen viel (ehrenamtliche) Zeit, um Gesetzesvorlagen zu lesen und zu kommentieren, wie bspw. NGOs und  werden dann gar nicht gehört, weil sie keine Vertretung im Parlament haben. Wieder sind es hier viele junge Menschen, die sich engagieren und Blogs und Plattformen nutzen, um ihre Ideen zu präsentieren und andere zur Diskussion darüber einladen. Die Rückmeldung von Journalismus-Größen wie Armin Wolf (den ich übrigens sehr schätze), die sich ebenfalls in Blogs und auf sozialen Plattformen wie insbesondere Twitter tummeln ist dann, dass es in Österreich keine namhaften BloggerInnen gibt, deren Beiträge es in die Medien schaffen, oder diesen gar ein Thema vorgeben. Liegt das an den Themen und der Reichweite der Blogs, oder an der Struktur unsrer Medienlandschaft?

Gerade heute morgen wurde im Ö1-Morgenjournal über die Bewegungen in Griechenland berichtet. Da wird dann gesagt, dass die Menschen, die sich täglich auf die Straße begeben immer wieder klar machen, dass sie sich keiner Partei zugehörig fühlen. Eine Besonderheit in Griechenland, weil die Lager sehr stark und in der Bevölkerung tief verwurzelt sind. Diese Nicht-Zugehörigkeit wird dann im nächsten Satz aber als Politikverdrossenheit beschrieben. Doch wieso gehen die Menschen dann jeden Tag auf die Straße? Für mich ist das ein ganz deutliches Zeichen für einen starken Gestaltungswillen. Und Politik ist nun einmal Gestaltung unserer Gesellschafft. Auf Wiktionary wird eine Bedeutung von Politik sogar so beschrieben: „an bestimmten Leitideen ausgerichtetes Handeln einzelner Personen oder Personengruppen“. Dass dies nur Parteien sein können, wird nirgends gesagt. Daher ist ein Frust über die derzeitige Parteienlandschaft (den es ja bei uns auch gibt) nicht gleich zu setzen mit Politikverdrossenheit. Er richtet sich vielmehr an die Klientelpolitik der Kammern, Parteien und sonstigen Vertretungen, an die Verbandelung von Politik und Wirtschaft oftmals zugunsten derer, die stark Lobbyieren oder schon jetzt viel mehr Macht als andere haben. Er richtig sich an die fehelnde Möglichkeit mitzureden und mit zu gestalten, daran, dass zu viel hinter verschlossenen Türen verhandelt und vereinvart wird und erst die Ergebisse kurz vor einer Abstimmung präsentiert werden. Er richtet sich an Strukturen, die einige Wenige (und immer wieder die Gleichen) begünstigen und weit weg von den wahren Bedürfnissen vieler anderer agieren.

Der neue „[intlink id=“1039″ type=“post“]Europäische Sommer[/intlink]“ ist ein deutlicher Ausdruck dafür, dass wir uns gesellschaftlich und politisch engagieren wollen. Das Vertrauen, dass dies innerhalb der bestehenden Strukturen insbesondere der Parteien und ihrer Klientelpolitik (damit sind auch Vertretungen wie Kammern und sonstige IVs gemeint) passieren kann, ist uns aber verloren gegangen. Daher fordern wir eine Änderung des politischen Systems hin zu einer echte partizipativen Demokratie:

Echte Demokratie JETZT!

¡Democracia real YA!

1 Kommentar

  1. CL

    Das Vergessen geht bei uns in Deutschland übrigens auch sehr schnell. Aber wenn das nicht so wäre könnte man wohl gar keine Partei mehr wählen, die mal in der Regierung war. Das Problem ist auch dass die Entscheidungsträger sich oft nicht für ihr politisches Handeln verantworten müssem. Die Rolle des Herrn Schäuble im CDU-Spendenskandal ist bis heute nicht aufgeklärt, und heute ist er unser Finanzminister.

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