Diesen Beitrag habe ich soeben beim digital Winterputz gefunden. Ich hab ihn 2012 geschrieben, dann aber nie hier veröffentlicht. Er passt heute so gut wie damals.
Der typische österreichische Garten ist begrenzt durch einen Zaun. Wenn dieser nicht schon ausreichend Sichtschutz für die „Privatsphäre“ bietet, dann wird gleich davor noch eine Hecke gepflanzt. Der Blick aus diesem eigenen Reich hinaus ist oft von Neid, Missgunst oder Stolz geprägt, je nach Selbstbewusstsein des/der Gartenbesitzers/in. Doch dieser Blick hinaus über den eigenen Gartenzaun kann bereichern und Impulse für neue Initiativen geben. Die Natur endet nicht am eigenen Zaun. Der/die „NaturgärtnerIn“ arbeitet so im Garten Dinge ein, die von „draußen“ aufgenommen wurden und strahlt mit dieser Aktivität wiederum Impulse für diejenigen aus, die auch über ihren Gartenzaun blicken.
Die aktuellen Fragestellungen – ich will hier nicht von „Problemen“ sprechen, denn viele Menschen macht dieses Wort handlungsunfähig – wie Klimawandel und Ressourcenknappheit erfordern, den Blick auf die Erde als Gesamtheit und eine Umlegung der Erkenntnisse auf seinen/ihren persönlichen Wirkungskreis, seinen/ihren „Naturgarten“. Um das Ganze nicht zu abstrakt zu halten, ein kleines Beispiel:
Eine Familie übersiedelt in ein Haus mit eigenem Garten und findet diesen verwildert und ungenutzt vor. Im ersten Moment sehen sie sich einem Chaos gegenüber, doch dann erkennen sie diesen Zustand als Chance und den Baumbestand und die „Gstettn“ als Bereicherung in einem Garten, der nun rund um diese Elemente geplant wird. Es entsteht daraus ein Naturgarten, der Kindern genügend Platz zum Spielen bietet. Ein Bereich wird für den Gemüsegarten adaptiert und in einem ruhigen Eck entsteht eine Laube und ein Platz zum Grillen. Alles sieht „perfekt“ aus und bereits wenige Wochen nach dem Einzug kann die Familie den Garten in seiner ganzen Vielfalt nutzen. Die Kosten für die Gestaltung bleiben minimal und das gesparte Geld kann in die ressourcenschonende Energieversorgung des Wohnhauses investiert werden. Auch die Pflege fällt kaum ins Gewicht.
In einem Sommer allerdings leiden plötzlich einige Bäume und Sträucher sowie die Spielwiese unter der extremen Trockenheit. Bisher musste nur gelegentlich gegossen werden und der hauseigene Brunnen bot dafür ausreichend Wasser. Doch leider ist in diesem Sommer das Grundwasser zu weit abgesunken und so musste Trinkwasser zur Bewässerung herangezogen werden. Bei der Recherche nach den Ursachen dafür wird schnell klar, dass diese nicht im eigenen Garten zu finden sind. Ein Blick über den Gartenzaun bietet jedoch einige potentielle Quellen. Der Nachbar musste seinen Rasen nahezu dauerbewässern. Da der Wasserspiegel seines Brunnens auch bereits sehr weit abgesunken war, kaufte er sich eine größere Pumpe. Der nahe gelegene Golfplatz hatte auch mit der Instandhaltung seines „Design-Grüns“ zu kämpfen. Der eigens für die Bewässerung errichtete Teich, der mit Grundwasser gespeist wurde, war bereits ausgetrocknet und so griff man ebenfalls auf Trinkwasser zurück.
Die Enttäuschung der Familie ist anfangs groß. Es wird schnell klar, dass die Rahmenbedingungen für den Weiterbestand des eigenen Naturgartens wie bisher in Zukunft nicht mehr gegeben sein werden. Die Lösung dafür muss im eigenen Wirkungsbereich und in der Nachbarschaft gesucht werden. Als erster Schritt wird ein Regenwassersammeltank angeschafft, um damit ausreichend Wasser für die Bewässerung des eigenen Gartens zur Verfügung zu haben. Die Perspektive, langfristig den eigenen Garten nur durch Bewässerung erhalten zu können, ist allerdings nicht zufriedenstellend, also beginnt man auch auf die Nachbarschaft einzuwirken und konstruktive Vorschläge für eine Verbesserung der Situation zu unterbreiten. Man stößt dabei auf offene Ohren, denn auch die NachbarInnen waren sich des Problems bereits bewusst. Im Betreiber des Golfplatzes findet man denn auch einen Fürsprecher für die Sache mit guten Kontakten zu Politik und Wirtschaft. Es kann also partizipativ und konstruktiv nach Lösungen gesucht werden.
Das Beispiel zeigt die Wechselwirkungen zwischen globalen Ereignissen und lokalen Handlungsmöglichkeiten. Wetterextreme wie der trockene Sommer sind eine Konsequenz eines sich ändernden Klimas und werden in nächster Zukunft vermehrt auftreten. Direkten Einfluss kann man darauf – insbesondere kurzfristig – nicht nehmen. Die Absenkung des Grundwassers ist zudem nicht direkt damit in Verbindung zu bringen, denn entscheidend dafür ist die Intensität der Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Den Menschen in der Nachbarschaft der Familie wird im Gespräch schnell klar, dass es an ihnen selbst liegt, diese Ressource schonend zu nutzen.
Um den eigenen Garten zu retten, muss die Familie über den eigenen Zaun blicken und Menschen finden, die ihre Sorgen teilen. Mit der Anschaffung eines Regentanks gehen sie den Kompromiss ein, ihren Garten auch durch künstliche Bewässerung zu erhalten, falls trotz der Maßnahmen, die sie in ihrer Gemeinde in Bewegung gebracht haben, der Grundwasserspiegel einmal zu weit absinkt.
In seinem Buch „7 Wege zur Effektivität“ unterscheidet Stephen R. Covey (Covey, 2007) zwischen dem Interessen- und dem Einflussbereich. Bei vielen Menschen nimmt der Interessenbereich einen immer größeren Stellenwert ein und sie versuchen in diesem Bereich zu handeln. Dabei stoßen sie immer wieder an Grenzen, weil die Dinge außerhalb ihres Einflussbereiches liegen. Das Ziel muss es also sein, in seinem Einflussbereich zu handeln und damit auch auf den Interessenbereich zu wirken.
Der eigene Garten steht als Symbol für den eigenen Einflussbereich. Der Blick über den Gartenzaun und die Wirkung, die man mit der Gestaltung des Gartens auf die eigene Umgebung hat, stellt gewissermaßen den Interessenbereich dar. Vieles, das man „draußen“ sieht und lernt, kann man im Garten umsetzen. Durch die Beobachtung von Erträgen des Gemüsegartens, dem Wuchs der Bäume und Sträucher oder dem Spiel der Kinder kann man Änderungen und Verbesserungen vornehmen und diese beispielsweise in einem Weblog dokumentieren, sodass andere Gärtner und Gärtnerinnen an den Erfahrungen teilhaben können. Die Beobachtungen der eigenen Aktivitäten, der Austausch darüber mit anderen Menschen und das Aneignen neuen Wissens führen zu einer Erweiterung des Einflussbereichs.
Der Literaturnobelpreisträger André Gide hat gesagt: „Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“ Wenn wir glauben, nichts Neues mehr entdecken zu können, dann haben wir aufgehört zu leben. Wer sich den Blick über den eigenen Gartenzaun hinaus verstellt, der beginnt in einer eigenen, nicht selten künstlichen Welt zu leben. Sobald wir unseren eigenen Naturgarten geschaffen haben, sollten wir unsere Nachbarn an unseren Erfahrungen teilhaben lassen und von ihren Erfahrungen lernen, damit schon bald der Zaun dazwischen durch natürliche Barrieren wie Sträucher ersetzt werden kann und eine „Naturregion“ entsteht.
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